Keine Lust und keine Perspektive: Es gab eine Zeit im Leben von Ron Hansen, da lief es alles andere als rund. Erst als er das Programmieren für sich entdeckte, ging es wieder aufwärts. Jetzt ist der 25-Jährige nicht nur Entwickler der App „TSBW KickStart“ für das Theodor-Schäfer-Berufsbildungswerk in Husum (TSBW), sondern hat auch schon vor dem Abschluss seiner Ausbildung zum Fachinformatiker einen Arbeitsplatz in einem Hamburger Unternehmen sicher. Zur perfekten Erfolgsgeschichte fehlt nur noch ein kleines Detail.
Immer schön die Orientierung behalten und im passenden Moment die richtige Abzweigung erwischen. Was sich wie ein guter Rat fürs Leben anhört, ist eine ganz praktische Herausforderung, wenn man sich als Ortsfremder auf dem Gelände des TSBW in Husum zurechtfinden will. An zentralen Kreuzungen stehen hier schon mal bis zu zehn Wegweiser: Zur Sport- und Schwimmhalle geht es nach links, zum Tagungsbereich nach rechts, zum IT-Bereich immer geradeaus. Dort warten schon Ron Hansen und Friedrich Petersen.
„Hier ist es wie in einem kleinen Dorf“, lacht Ron Hansen. „Da kann man sich schon mal verlaufen.“ Der 25-Jährige absolviert im TSBW eine Ausbildung zum Fachinformatiker mit der Fachrichtung Anwendungsentwicklung und hat dabei unter anderem die App „TSBW KickStart“ entwickelt. „Ich war neu im TSBW und fand es total umständlich, an die ganzen Informationen zu kommen, die ich gerade brauchte“, erklärt er seine Motivation. Wann hat nochmal die Poststelle auf? Was gibt es heute zum Mittagessen in der Kantine? Und wurde das Schwimmtraining nicht in dieser Woche verschoben? Seine Idee: Eine App, die diese und weitere nützliche Informationen rund um das TSBW bündelt, sodass man sie immer griffbereit hat. TSBW KickStart ist für Android-Endgeräte erhältlich und hat im Google Play Store einen Bewertungsschnitt von 4,2 von 5. Mit Abstand häufigster Kritikpunkt: Der Speiseplan ist nicht immer aktuell.
„Dafür kann Ron aber nichts“, springt ihm Ausbildungsleiter Friedrich Petersen zu Seite. „Die App ist so konzipiert, dass sie dezentral gepflegt werden kann.“ Das heißt, dass nicht ein Programmierer ständig alle Änderungen vornehmen muss, sondern dass die Verantwortlichen der unterschiedlichen Bereiche das selbst tun können. „Dafür habe ich eine kleine Web-Applikation gebaut“, erklärt Ron Hansen. “Für die bekommen Mitarbeitende des TSBW jeweils einen Account zugeteilt.“ Über diesen Zugang kann dann zum Beispiel der Sportbereich Hallen-Öffnungszeiten und aktuelle Trainingstermine veröffentlichen und die Küche ist eben für die Aktualisierung des Speiseplans verantwortlich.
Darüber hinaus bietet TSBW KickStart unter anderem eine Übersicht der wichtigsten Ansprechpartner im TSBW und natürlich eine Karte inklusive detailliertem Gebäudeplan zur besseren Orientierung auf dem Gelände. Auf dem sind neben den rund 400 Mitarbeitenden auch 1.000 junge Menschen unterwegs, die das umfangreiche Angebot berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen nutzen – von Praktika zur Berufsfindung über Umschulungen bis zur Ausbildung in über 70 Berufen.
Besonders die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen im IT-Bereich steige kontinuierlich, sagt Friedrich Petersen. „Aktuell haben wir 42 Auszubildende. Als ich vor fünf Jahren angefangen habe, waren es acht.“ Ein Grund für die große Beliebtheit könnte die formale und inhaltliche Flexibilität sein. „Wir pflegen hier keine starren Strukturen und sind immer offen für Projekte, die aus Eigeninitiative heraus entstehen“, sagt der Ausbilder. „Natürlich muss auch bei uns jeder seine Arbeitsleistung erbringen. Aber es gibt viele Möglichkeiten, dabei nach Absprache eigene Schwerpunkte zu setzen. Ich vermute, dass das nicht in allen Bereichen so ist.“ Der klassische Einstieg in den Wunsch-Beruf führt beim TSBW über eine Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BVB), wie sie auch Ron Hansen absolviert hat. Während kürzerer Praktika in unterschiedlichen Ausbildungsbereichen kann man sich dabei einen generellen Überblick verschaffen und einiges ausprobieren. „Als Erstes war ich in der Tischlerei“, erinnert sich Ron Hansen. „Das war aber wirklich absolut nichts für mich.“ Anschließend hat er sich noch am Technischen Zeichnen versucht, bevor er schließlich in den IT-Bereich kam.
„Bevor es dann mit der Ausbildung losgehen konnte, haben wir noch eine konkrete Ausbildungsempfehlung abgegeben“, sagt Friedrich Petersen. „Dabei wird zunächst über die Ausbildungseignung und die Ausbildungsreife entschieden.“ Die Ausbilder bewerten also sozusagen den individuellen fachlichen Entwicklungs- und Wissensstand. Vorkenntnisse sind zwar positiv, aber kein Muss. „Viel wichtiger ist das Interesse und die kognitive Leistungsfähigkeit“, sagt der Ausbilder. „Und auch Teamfähigkeit spielt eine Rolle.“
Das entspricht nicht gerade dem Stereotyp des Software-Entwicklers als introvertiertem Bastler. Aber es passt zu Ron Hansen, denn der wirkt aufgeschlossen und selbstbewusst, schlagfertig und hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Auf den Mund gefallen ist er auch nicht gerade: Seine App hat er unter anderem auf der Mitarbeiterversammlung des TSBW vor der kompletten Belegschaft vorgestellt. „Das war schon ein kleiner Nervenkitzel“, sagt er lächelnd.
Was das Programmieren angeht, ist der 25-Jährige eigentlich Autodidakt: „Bevor ich meine Ausbildung im TSBW begonnen habe, hatte ich mir selbst schon ein bisschen Programmieren beigebracht“, stapelt er tief. „Und als ich dann meine erste App bauen wollte, habe ich mich erstmal im Internetschlaugemacht.“ Warum hat er überhaupt seine Ausbildung in einem Berufsbildungswerk absolviert? „Ich habe früher ein paar schlechte Entscheidungen getroffen“, sagt er und zuckt entschuldigend mit den Schultern. „Es gab eine Phase in meinem Leben, in der ich auf gar nichts Lust hatte und auch keine Vorstellung, wie es weitergehen soll. Diese Phase war vorbei, als ich das Programmieren gefunden hatte.“
Und das eröffnet ihm jetzt ganz neue Möglichkeiten. „Als Ron während seiner Ausbildung bei uns ein Praktikum in einem Hamburger Unternehmen gemacht hat, wurde ihm dort gleich ein Arbeitsvertrag angeboten – und das eineinhalb Jahre vor Ausbildungsende“, erzählt Friedrich Petersen nicht ohne Stolz. Einen Schreibtisch in einer Internetagentur für Kommunikations- und Online-Projekte hat der junge Entwickler also schon sicher. Einzige Voraussetzung: Er muss seine letzten Prüfungen bestehen. Wie stehen die Chancen? „Gut bis sehr gut“, ist sich sein Ausbilder sicher.
Das würde in die Erfolgsbilanz des IT-Bereichs passen, denn von den Auszubildenden hier absolvieren über 80 Prozent ihre Abschlussprüfungen erfolgreich. Die Vermittlungsquote auf den ersten Arbeitsmarkt liegt sogar bei über 90 Prozent. „Entwickler werden überall händeringend gesucht“, sagt Friedrich Petersen, „und die Guten sind rar.“ Was macht einen guten Entwickler aus? „Interesse und Begeisterung“, sagt Ron Hansen. „Ich setze mich auch oft am Wochenende mit einem Kumpel hin und wir arbeiten einfach gemeinsam an irgendwas. Diese Leidenschaft braucht man. Dann kommt alles andere fast automatisch.“
Zum Beispiel der neue Job. „Mir war es wichtig, eine junge dynamische Firma zu finden, in der die Leute Lust haben auf das, was sie machen“, sagt Ron Hansen. Also eigentlich ganz ähnlich wie im TSBW: nicht so starre Strukturen und ausreichend Freiheit, um die eigene Leidenschaft gewinnbringend einzusetzen. „Ein paar nette Extras gibt’s in der neuen Firma außerdem“, verrät der junge Entwickler. Sportangebote für Mitarbeitende zum Beispiel und die Möglichkeit, auch mal zu Hause zu arbeiten. Dieses Zuhause fehlt allerdings noch: „In Hamburg eine Wohnung für mich und meine Freundin zu finden, die zentral und bezahlbar ist, ist nicht ganz so einfach“, sagt Ron Hansen. Zum Glück gibt’s für dieses Problem mehr als nur eine App.